2.2 Die Theorie der Schwere-Fermionen-Systeme

Die Schwere-Fermionen-Systeme haben ihren Namen von der stark erhöhten effektiven Masse der für die physikalischen Eigenschaften verantwortlichen Quasiteilchen. Diese sind Anregungszustände der Leitungselektronen, die wie alle Teilchen mit halbzahligem Spin der Fermi-Dirac-Statistik unterliegen und daher Fermionen genannt werden. Der folgende Abschnitt widmet sich einem kurzen Einblick in die theoretische Beschreibung des Verhaltens dieser Systeme.


Metalle der Seltenen Erden

Die Seltenen Erden sind Scandium, Yttrium, Lanthan und die sogenannten Lanthaniden. Als solche bezeichnet man die im Periodensystem der Elemente hinter Lanthan folgenden Elemente mit den Ordnungszahlen 58 - 71. Bei den Lanthaniden wird die 4f-Schale sukzessive mit Elektronen aufgefüllt. Die f-Schalen der Seltenen Erden tragen ein magnetisches Moment, wenn sie nicht vollständig gefüllt sind oder leer. Die Besonderheit der f-Wellenfunktion ist, daß sie sehr nahe am Atomkern lokalisiert ist. In metallischen Verbindungen besitzen die 4f-Wellenfunktionen der Selten-Erd-Ionen daher praktisch keinen Überlapp mit den Wellenfunktionen der Liganden.

Valenz-Instabilitäten in Selten-Erd-Verbindungen

Bei den Seltenen Erden Cer, Ytterbium und Europium liegen mehrere Elektronenkonfigurationen energetisch sehr dicht beieinander. Die Lanthaniden sind in der Regel dreiwertig, d.h. sie geben die drei (5d6s2)-Elektronen an das Leitungsband ab. Die 4f-Elektronen bleiben davon unberührt. Oft führt aber die Abgabe oder Aufnahme eines Elektrons in die 4f-Schale zu einer größeren Energieabsenkung. Das Selten-Erd-Ion ist dadurch vier- oder zweiwertig. In Verbindungen kann es auch energetisch günstig sein, wenn Elektronen zwischen dem Leitungsband und den f-Schalen fluktuieren, so daß die Selten-Erd-Ionen im zeitlichen Mittel keine ganzzahlige Valenz besitzen. Man spricht in diesem Fall von zwischenvalentem Verhalten. Der Effekt wird auch als Valenz- oder 4f-Instabilität bezeichnet. Die Valenzfluktuationen verhindern die Bildung eines stabilen magnetischen Moments, und das Metall ist unmagnetisch.

Im Fall des Ytterbiums bedeutet das: In den meisten Verbindungen wie auch in reinem Ytterbium-Metall besitzt Ytterbium die Valenz 2+. Damit ist die 4f-Schale in der 4f14-Konfiguration abgeschlossen, Ytterbium ist also unmagnetisch. Die zweite Möglichkeit ist die 4f13-Besetzung des 4f-Niveaus. Ytterbium ist in diesem Fall dreiwertig (Valenz 3+) und besitzt ein magnetisches Moment. Ebenso wird in einigen Ytterbium-Verbindungen zwischenvalentes Verhalten beobachtet.


Der Kondo-Effekt

Der Kondo-Effekt [Kondo64] beschreibt die Wechselwirkung zwischen magnetischen Störstellen und Leitungselektronen: Die Spins der Leitungselektronen wechselwirken mit dem magnetischen Moment der Störstelle. Die charakteristische Temperatur dieser Wechselwirkung ist die Einzelionen-Kondotemperatur TK. In den hier betrachteten Verbindungen tragen die 4f-Schalen der Lanthanidelemente das magnetische Moment. Da die Selten-Erd-Ionen gitterperiodisch angeordnet sind, spricht man von Kondo-Gitter-Systemen. Zu tiefen Temperaturen hin wird die Kopplung der Leitungselektronen zunehmend stärker, und es bildet sich ein kohärenter Zustand. Die stark lokalisierten magnetischen Momente werden unterhalb der Kondo-Gitter-Temperatur T * (der exakte Zusammenhang mit TK ist nicht geklärt) immer mehr abgeschirmt. Es ist dadurch ein gänzlich unmagnetischer Grundzustand möglich. Die Wechselwirkungsenergie ergibt sich aus einer formalen Betrachtung:
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Sie hängt exponentiell vom Produkt aus der Zustandsdichte an der Fermikante und dem Betrag des Austauschintegrals J ab.


Die RKKY-Wechselwirkung

Die indirekte Austauschkopplung der lokalisierten magnetischen Momente wird durch die RKKY-Wechselwirkung [Ruderman54] beschrieben. Sie wird durch die Elektronen des Leitungsbandes vermittelt. Sofern diese Wechselwirkung dominiert, führt sie zu magnetischer Ordnung. Die charakteristische Energie ist proportional zu der Zustandsdichte an der Fermikante und dem Quadrat des Austauschintegrals J:
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Klassifizierung von Schwere-Fermionen-Systemen

In den intermetallischen Selten-Erd-Verbindungen treten der Kondo-Effekt und die RKKY-Wechselwirkung in Konkurrenz zueinander. In dem von Grewe und Steglich [Grewe91] vorgestellen modifizierten Phasendiagramm nach Doniach [Doniach77] werden sie durch die Kopplungskonstante  verknüpft. Die Funktion

mit C = konstant beschreibt dabei deren Zusammenspiel: Für g << 1 beobachtet man RKKY-Magnetismus mit stabilen Momenten, angedeutet durch Y > 1. Im Bereich der Schweren Fermionen (g < 1) ist Y von der Größenordnung 1. Man postuliert einen itineranten Magnetismus der schweren Quasiteilchen. Für den Fall g = 1 verschwindet die magnetische Ordnung und man vermutet Nicht-Fermiflüssigkeits-Verhalten. Für g > 1 beobachtet man Valenzfluktuationen und Fermiflüssigkeits-Verhalten. Fermiflüssigkeits-Verhalten bedeutet dabei ein physikalisches Verhalten mit konstanten Werten von c und C / T für T ® 0 K wie bei klassischen Metallen. Der elektrische Widerstand ist proportional zu AT 2, wobei der Proportionalitätsfaktor A mit g 2 skaliert. Nicht-Fermiflüssigkeits-Verhalten bedeutet die Ungültigkeit dieser Beziehungen. Je nach zugrundeliegendem Modell zeigt das System beispielsweise eine logarithmische Temperaturabhängigkeit in c und C / T (und damit eine logarithmische Divergenz von c0 und g ) sowie ein T 3/2-Gesetz im elektrischen Widerstand.


Kapitel 2.1